Bulgarischer Joghurt
Wenn ein Lebensmittel das Land Bulgarien repräsentiert, dann ist das zweifelsohne Joghurt. Der Legende nach sollen die Reiter bulgarischer Horden einst Milch als Wegzehrung in Ledersäcken transportiert haben, in die sich dann das ein oder andere Lactobacillus bulgaricus — genauer Lactobacillus delbrueckii subspecies bulgaricus — verirrt hat, um die gute bulgarische Milch in den ersten bulgarischen Joghurt der Geschichte zu verstoffwechseln.
Obschon Joghurt ein so essentieller Bestandteil bulgarischer Kultur und der nationalen Identität ist, hat sich kein bulgarischer Begriff als Internationalismus für dieses Milchprodukt etabliert. Tatsächlich stammt das Wort Joghurt vom türkischen yoǧurt ab, das so viel wie Dickmilch bedeutet. In Bulgarien wird Joghurt stattdessen кисело мляко (kiselo mljako) genannt, was einfach saure Milch bedeutet. Der Joghurt ist in Bulgarien dabei so allgegenwärtig, dass das Wort für Milch selten alleine verwendet wird, sondern fast immer als Kombination saure Milch für Joghurt oder frische Milch für normale Milch.
Das Lactobacillus bulgaricus macht den Unterschied
Die Herstellung von Joghurt ist der von Dickmilch relativ ähnlich. Während bei Dickmilch Bakterien, die natürlicherweise in Kuhmilch vorkommen, für die Fermentierung der Milch verantwortlich sind — siehe Hausgemachte Dickmilch — wird die Milch für die Joghurtherstellung mit Lactobacillus bulgaricus versetzt, das deutlich höhere Temperaturen für eine optimale Entwicklung benötigt.
In Bulgarien wird das Lactobacillus bulgaricus meist für eine bulgarische Entdeckung gehalten. Gesicherter Stand der Forschung ist heute jedoch, dass das Bakterium zum ersten Mal 1919 vom dänischen Bakteriologen Sigurd Orla-Jensen beschrieben wrude, der es in bulgarischem Joghurt nachweisen konnte.
Übrigens gibt es noch eine Reihe weiterer Bakterien, mit denen sich Joghurt herstellen lässt. Das Endprodukt ändert sich dann zum Beispiel im Geschmack (milder Joghurt) oder in seinem mikrobiologischen Eigenschaften (probiotischer Joghurt, Joghurt mit rechtsdrehender Milchsäure, und so weiter).
Bakterien finden
Da Joghurtkulturen natürlicherweise nicht in Milch vorkommen, schon gar nicht in pasteurisierter Milch, muss man sie aus anderen Quellen gewinnen.
Joghurt als Starterkultur
Wer mit der Joghurtherstellung direkt loslegen will, kann einfach im Supermarkt einen Becher Joghurt kaufen, zwei Esslöffel davon in einem halben Liter Milch verrühren, und diese dann gut 6 Stunden bei 40 bis 45 °C fermentieren lassen, und wird Joghurt herausbekommen. Welche Bakterien im Joghurt enthalten sind, wird man dann allerdings selten wissen, weil die verwendete Bakterienkultur auf Joghurt nicht vermerkt sein muss. Ob das stört oder nicht, muss man selber entscheiden.
Voraussetzung ist natürlich, dass die Joghurtbakterien noch vital sind, was aber bei fast jedem Joghurt der Fall ist.
Bakterien kaufen
Man kann Lactobacillus bulgaricus (und etliche andere Bakterien) aber auch einfach im Internet kaufen. Die Firma Bacillus bulgaricus zum Beispiel liefert weltweit. Im Vergleich zur Verwendung von fertigem Joghurt als Starterkultur sind diese Bakterien teuer. Allerdings braucht man nur für die erste Charge die gekauften Bakterien. Beim nächsten Mal kann man einfach wieder vier Esslöffel vom letzten Joghurt übrigbehalten, und damit den nächsten Liter Milch impfen.
Auffrischen der Bakterien
Egal, ob man mit gekauften Bakterien oder Joghurt aus dem Lebensmittelgeschäft beginnt, kann man den Rest Joghurt als Starterkultur für die nächste Charge verwenden. Früher oder später wird man allerdings feststellen, dass das Ergebnis nicht mehr zufriedenstellend ist, zum Beispiel weil sich neben Lactobacillus bulgaricus noch andere, unerwünschte Bakterien breitgemacht haben.
Dann sollte man sich um eine frische Bakterienkultur bemühen, also entweder mit fertigem Joghurt oder gekauften Bakterien neu beginnen.
Welche Milch?
In Bulgarien wird Joghurt sehr häufig auch aus Schafsmilch hergestellt. Ebenso geeignet sind Ziegen- oder Büffelmilch, wobei sich der Geschmack natürlich stark ändert. Generell sollte jede Milch tierischen Ursprungs uneingeschränkt zu Joghurt vergoren werden können.
Auch vegane Milch aus Hafer, Mandeln oder Soja soll zu Joghurt verarbeitet werden können. Ich habe es noch nicht ausprobiert, würde einen ersten Test aber vermutlich mit einem veganen Joghurt aus dem Laden als Starterkultur machen, weil die darin enthaltenen Bakterien vielleicht besser auf das Ausgangsprodukt abgestimmt sind.
Fettgehalt
Um den Fettgehalt des Joghurts zu beeinflussen, hat man zwei Stellschrauben.
Zum einen hat konventioneller Joghurt exakt den Fettgehalt des Ausgangsproduktes. Macht man Joghurt aus Magermilch mit 1,5 % Fett, hat auch der Joghurt exakt 1,5 % Fett, vom Verdunstungseffekt abgesehen.
Nicht nur in Bulgarien sondern auch in vielen anderen Ländern wird der fertige Joghurt aber häufig noch abgetropft. Dazu füllt man den Joghurt in ein sauberes Tuch, hängt es zum Beispiel an einem Kochlöffel in einen Eimer oder anderes Gefäß und wartet drei bis vier Stunden (oder kürzer oder auch die ganze Nacht). Heraus tropft zum größten Teil das im Joghurt enthaltene Wasser und dementsprechend steigt der Anteil an Fett und Proteinen in der verbleibenden cremigen Masse. Die austretende Flüssigkeit schmeckt leicht säuerlich und sehr erfrischend und muss natürlich nicht entsorgt werden.
In Bulgarien nennt man dies zedeno kiselo mljako (цедено кисело мляко), was soviel wie gesiebte saure Milch, also gesiebter Joghurt bedeutet. Libanesischer Labneh (oder Labaneh) ist im Prinzip dasselbe, und der auch in Deutschland fast überall erhältliche griechische Joghurt mit hohem Fettanteil wird auf die gleiche Art und Weise hergestellt. Natürlich kann man auch gekauften Joghurt als Ausgangsprodukt verwenden.
Temperatur und Fermentationsdauer
Die optimale Temperatur für die Fermentierung soll bei 42 °C liegen. Ich persönlich stelle meine Anlage auf 43 °C ein, weil ich davon ausgehe, dass die tatsächliche Temperatur der Milch durch Wärmeverluste etwas niedriger liegt.
Man ist aber ohnehin nicht gezwungen, sich an diese Anleitung zu halten. Die Bakterien entwickeln sich in einem weiten Temperaturspektrum, das mindestens von 30 °C bis 45 °C reicht. Je näher die tatsächliche Temperatur an der Optimaltemperatur von 42 °C liegt, desto saurer und fester wird der Joghurt.
Ähnliches gilt für die Fermentationsdauer. Ich stelle alles so ein, dass die Milch sechs Stunden und 15 Minuten fermentiert, nachdem sie eine Temperatur von 42 °C erreicht hat. Das messe ich mit einem Bratenthermometer. Je länger die Fermentierung dauert, desto saurer und fester wird wiederum das Endprodukt.
Für den Anfang passen diese Einstellungen, und man kann sich dann mit kleinen Änderungen an die eigenen Vorlieben von Säuregehalt und Festigkeit herantasten. Unter "fest" darf man sich übrigens nicht schnittfest in dem Sinne vorstellen, dass der Joghurt als Ganzes aus dem Glas gleitet und dabei die Form behält. Bei gekauftem Joghurt, bei dem dies der Fall ist, wird vermutlich mit Emulgatoren oder Stärke nachgeholfen.
Hygiene
Das Lactobacillus bulgaricus ist relativ aggressiv und kann sich deshalb gut gegen unerwünschte Verwandte durchsetzen. Für die nicht-industrielle Joghurtherstellung benötigt man definitiv keine absolut keimfreie Umgebung.
Weil man den selbstgemachten Joghurt aber als Starter für die nächsten Gläser verwenden will, sollte man schon einigermaßen sauber arbeiten, die Gläser, Löffel zum Umrühren, Thermometer etc. heiß spülen, und nicht gerade den Finger in die Milch stecken.
Genauso sollte man zumindest beim letzten Glas, aus dem man die Starterkultur für die nächste Generation entnehmen will, immer nur sauberes Besteck verwenden, und sich insbesondere verkneifen, mit abgelutschten Löffeln aus dem Glas zu naschen, denn die Bakterien der eigenen Mundflora vermehren sich in Milch ebenso gerne wie Kollege Lactobacillus bulgaricus.
Bulgarischen Joghurt zuhause selbst machen
Viele Wege führen zum Ziel. Ich würde die Gläser allerdings immer in ein Wasserbad stellen, weil die Temperatur aufgrund des höheren Flüssigkeitsvolumens besser stabil gehalten werden kann.
Traditionelle bulgarische Herstellung
In Bulgarien wird meist empfohlen, Milch auf mindestens 90 °C zu erhitzen und dann auf ca. 45 °C abzukühlen. Die warme Milch wird dann in locker verschlossene, nicht luftdicht abgeschlossene Gläser gefüllt und mit dicken Tüchern isoliert bei 40 bis 45 °C für etwa sechs Stunden vergoren.
Das Abkochen ist aber bei pasteurisierter Milch völlig überflüssig, und optimale Bedingungen für die Fermentierung kann man heutzutage auch mit kleinem Geld viel genauer herstellen.
Herstellung im Backofen
Die Hilfsmittel für die Herstellung im Backofen hat fast jeder in der Küche. Man füllt eine möglichst hohe Backform mit 43 °C warmem Wasser, stellt dort die Gläser mit der mit Starterkultur geimpften Milch hinein, und hält dann die Temperatur um die 43 °C. Hilfreich sind dabei ein Backofenthermometer oder genauer ein Bratenthermometer, das man ins Wasser legt. Neben der normalen Temperaturregelung des Backofens wird man die Ofentür mehr oder weniger weit öffnen müssen. Mit ein wenig Herumprobieren wird man schnell die richtige Einstellung finden.
Joghurtautomaten
Es gibt auch spezielle Joghurtautomaten. Von deren Anschaffung würde ich allerdings abraten, weil sie eben nur für die Herstellung von Joghurt geeignet sind.
Sous-Vide-Garer
Meine favorisierte Methode ist die mit Sous-Vide-Garer. Die gibt es einerseits als geschlossene Box, die einem Joghurtautomaten ähnelt. Deshalb werden sie oft auch als Kombination aus Sous-Vide-Garer und Joghurtautomat beworben.
Weniger Platz benötigen Sous-Vide-Garer zum Einhängen in einen mit Wasser gefüllten Topf, die obendrein auch noch billiger sind. Hier muss man allerdings den verwendeten Topf und die verwendeten Gläser auf das Gerät abstimmen, denn diese Sous-Vide-Garer haben immer eine Markierung für den minimalen und maximalen Wasserstand. Wenn das Gerät in den Topf gehangen wird, sollte die Oberkante der Gläser irgendwo zwischen der Min- und der Max-Markierung liegen, damit sie möglichst tief im Wasser stehen können.
Rezept
Zutaten
- 500 g Bio-Vollmilch (Fettgehalt 3,5 %) oder andere Milch
- 2 EL Joghurt als Starterkultur (alternativ: Bakterien nach Packungsanweisung)
Zubereitung
- Die Milch und ein Wasserbad auf 43 °C erhitzen. Sicherstellen, dass diese Temperatur möglichst genau gehalten wird.
- Die Starterkultur in der Milch verrühren, in Gläser abfüllen und locker, nicht luftdicht verschließen.
- Die Milch sechs Stunden und 15 Minuten fermentieren lassen.
- Die Gläser fest verschließen und im Kühlscnrank aufbewahren. Wie lange sich der Joghurt hält, ist individuell verschieden. Man merkt aber, wenn er schlecht ist, weil sich entweder Schimmel bildet oder sich der Geschmack unangenehm verändert.
Durchschnittliche Nährwertangaben
pro 100 g | pro Portion (200 g) | |||
---|---|---|---|---|
Brennwert | 261 | kJ | 522 | kJ |
62 | kcal | 124 | kcal | |
Fett | 3,4 | g | 6,8 | g |
- davon gesättigte Fettsäuren | 2 | g | 4 | g |
Kohlenhydrate | 4,7 | g | 9,4 | g |
- davon Zucker | 4,7 | g | 9,4 | g |
Eiweiß | 3,2 | g | 6,4 | g |
Salz | 0,13 | g | 0,26 | g |
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