Vitosha - eine Flaniermeile schafft sich ab
Der Frühling hält Einzug in Sofia. Zeit, sich auf dem Boulevard Vitosha - der Lebensader der Stadt - bei einem kühlen Bier in die Sonne zu setzen. Das gestaltet sich derzeit allerdings schwierig, weil die Fußgängerzone von seltsam anmutenden Glas-Metall-Konstruktionen gesäumt ist, zwischen denen kaum Platz für Tische und Stühle im Freien bleibt.
Das Geheimnis dieser Verhaue ist schnell gelüftet. Bulgarien hat vor einigen Jahren das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten, eine Maßnahme, die immer wieder kritisiert und in Frage gestellt wird. Die rechtsextreme Ataka-Partei hatte die Wiederabschaffung des Rauchverbotes sogar zur Hauptforderung erhoben, als sie 2013 in Verhandlungen über die Tolerierung der Minderheitsregierung der bulgarischen Sozialisten eintrat, konnte sich damit aber letztendlich nicht durchsetzen.
Daher muss das Land weiter mit dem Rauchverbot leben. Die Auswirkungen auf das Straßenbild waren zunächst so, wie man es von anderswoher kannte. Vor den Kneipen und Restaurants bildeten sich kleine Gruppen von Rauchern, in der kälteren Jahreszeit wurden von den Wirten Gasbrenner aufgestellt und Decken ausgegeben.
Nach einiger Zeit begannen einzelne Gastronomen aufzurüsten und stellten mit transparenter Zeltplane verkleidete Verschläge auf, um sich damit einen Wettbewerbsvorteil bei der rauchenden Klientel zu verschaffen. Nach und nach zogen immer mehr Wirte nach, und es kam zu einem regelrechten Rüstungswettlauf.
Mittlerweile sind diese Raucherrefugien luftdicht mit Glas verkleidet, haben automatisch öffnende und schließende Schiebetüren und sind beheizt. Nachdem Versuche, im Weg stehenden Kastanien bei Nacht und Nebel einfach auszureißen, im letzten Augenblick verhindert wurden, werden die Straßenbäume nunmehr umbaut, und werden jetzt im oberen Teil mit Sauerstoff und im unteren mit Nikotin versorgt.
Rauchende Bäume auf dem Boulevard Vitosha
Diese Raucherboxen, hässlich wie die Sünde, werden liebevoll "Zelt" genannt, womit sich vermutlich auch das Beantragen einer Baugenehmigung erübrigt. Man ist eben im Freien, die Kinder fühlen sich wohl an der frischen Luft, und die Bedienung freut sich der Errungenschaft einer rauchfreien Arbeitsumgebung.
Diese Entwicklung ist der vorerst traurige Höhepunkt einer Reihe umstrittener Maßnahmen der Sofioter Stadtverwaltung im Zusammenhang mit der Gestaltung der nach dem Bau der Metro neugeschaffenen zentralen Fußgängerzone.
Statt einen Wettbewerb für die Gestaltung auszurufen, wurde der Auftrag an die Firma vergeben, die die Metro gebaut hat. Dies führte im November 2012 zu der Protestaktion "Vitoshka Boza" der "Grupa Grad" (Gruppe Stadt), bei der die neugeschaffenen Geschmacklosigkeiten mit "Boza" überschüttet wurden. Boza ist ein für Ausländer sehr gewöhnungsbedürftiges bulgarisches Nationalgetränk, aber auch Synonym für Mist.
Ebenso wurde versäumt, die Querstraßen endlich für den Autoverkehr zu sperren, weshalb man beim Spaziergang in der Fußgängerzone alle 50 Meter eine Straße überqueren muss. Angeblich würde es zu einem Verkehrkollaps in der Stadt kommen, würden diese Sträßchen für den Verkehr gesperrt.
Stadtplaner, die bereit sind zu lernen, wie einfach sich ein Stadtbild ruinieren lässt, wenn man die Umgestaltung öffentlicher Plätze in attraktiven Lebensraum den Interessen von Wirten, Rauchern und dem motorisierten Individualverkehr opfert, sollten unbedingt einen Kurztrip in die bulgarische Hauptstadt unternehmen.
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